Mühlenbau in und um Wolfenbüttel

 

Eine Mühle ist einfach und genial. Zwei Steine, zwischen denen das Korn zermahlen wird. Noch heute arbeiten Mühlen nach diesem Prinzip, nur dass nacheinander Wind- und Wasserkraft und seit über 100 Jahren die Elektrizität die schwere Handarbeit abgenommen hat. Seit 15 Jahren wird nun wieder verstärkt durch moderne Wind- und Wasserkraftwerke die Elektrizität erzeugt, mit der Mühlen weiterhin zwischen zwei Flächen das Korn zermahlen. Mühlen faszinieren, weil sie einen Übergang zwischen den Elementen Luft und Erde oder Erde zu Wasser darstellen.
Dieses Buch soll Sie auf die Spur bringen, die damaligen Pioniere einer neuen Produktions- und Versorgungsweise kennen zu lernen. Immer auf unsere Region bezogen. Tausend Jahre Mühlengeschichte zwischen Elm und Asse.
Es ist mir eine Freude, dass ich Ihnen im Namen der Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel e.V. hiermit nun schon die vierte Spurensuche präsentieren darf. Ich möchte an dieser herausgehobenen Stelle besonders all denen danken, die geholfen haben, dieses Druckwerk zu realisieren. Ein Dank für die vielen Stunden, die ehrenamtlich für Redigieren, Layouten, Fotografieren, Texten und Diskutieren aufgebracht wurden. Das Ergebnis kann sich, erstmals mit einer ISBN- Nummer versehen, sehen lassen.
Mir persönlich gibt das Heft obendrein ein Stück persönlicher Geschichte zurück. Meine eigene Spurensuche und, wie ich meine, die vieler Leser verbindet eine persönliche Geschichte mit irgendeiner Mühle in der Welt. Sei es die griechische Windmühle im Urlaub, ein Besuch im Mühlenmuseum Gifhorn oder am traditionellen Pfingstmontag, an dem viele Mühlen ihre Tore für die Öffentlichkeit aufmachen. Oft wird es aber die Dorfmühle sein, die Mühle vor Ort, die es in Wind- oder Wasserform fast überall gab. Hier kennt oder kannte man den Müller, die Müllerstochter oder zumindest den Enkel des letzten Müllers. Es werden Geschichten überliefert aus vielleicht schon verfallenen Mühlen. Ich habe bei meinen beruflichen Mühlentouren Anfang der 90er Jahre in Sachsen-Anhalt die „Ästhetik des Verfalls“ gefunden. Aus einigen dieser Mühlruinen sind heute wieder Mühlgebäude entstanden, die nicht nur „Restaurant zur Mühle“ heißen, sondern in denen sich vermehrt die alten Holzgetriebe wieder drehen und obendrein mit Wasserrad oder Turbine der Naturgewalt umweltgerechte Energie abgerungen wird. Mein Dank gilt daher auch all denen, die sich verpflichtet fühlen, die Verantwortung zur Wahrung dieser Tradition zu übernehmen und das Kulturgut Mühle in Stadt und Land zu erhalten.

Andreas Stamer

Vorwort des Autors

Es gibt selten eine Region, deren Geschichte so eng mit dem Mühlenbauwesen verbunden ist, wie die Region Braunschweig-Wolfenbüttel. Noch heute steht der Name der Stadt Braunschweig für die Massenfertigung von Müllereimaschinen und die weltweite Vermittlung modernster Technologie im Müllerei- und Mühlenbauwesen.
Das neuzeitliche Mühlenbauwesen hat hierzulande eine über 150-Jährige Tradition. Doch war es nicht Braunschweig, sondern die kleinere Nachbarstadt Wolfenbüttel, in der diese Entwicklung ihren Anfang nahm. Im nächsten Jahr nähert sich die Gründung der ersten Wolfenbütteler Mühlenbaufirma von Gottlieb Luther zum 160. Mal. Sie wurde der eigentliche Grundstock der späteren berühmten Braunschweiger Mühlenbauindustrie.
Schon immer galten Mühlen als technische Wunderwerke. Sie spiegelten in früheren Tagen den jeweiligen Kulturstand eines Volkes wieder und sie waren die ersten Maschinen der Menschheit. So waren auch diejenigen angesehen, die im Stande waren, diese technischen Wunderwerke zu konstruieren bzw. zu fertigen, eben die Mühlenbauer. Die wohl treffendste Huldigung des Berufsstandes gibt uns 1862 der englische Ingenieur William Fairbairn, der selbst aus dem Mühlenbaugewerbe stammte.
Zitat: „Der Mühlenbauer vergangener Tage war bis zu einem gewissen Grade der alleinige Vertreter der Maschinenbaukunst, er wurde als Autorität in allen Fragen der Anwendung von Wind und Wasser betrachtet, wie auch immer diese Kräfte als Antrieb in den Werkstätten gebraucht werden mochten. Er war der Ingenieur des Gebiets, in dem er wohnte, er war eine Art Hans Dampf in allen Gassen. Mit derselben Fertigkeit vermochte er an der Drehbank, am Amboss oder an der Hobelbank zu arbeiten. ... Er konnte Axt, Hammer und Hobel mit gleicher Geschicklichkeit und Genauigkeit handhaben, er verstand zu drehen, zu bohren oder zu schmieden, so leicht und schnell, wie einer, der in jedem dieser Handwerke ausgebildet worden war. ... Im allgemeinen war er ein tadelloser Rechner, er wusste einiges aus der Geometrie und der Vermessungskunde. Vielfach besaß er auch entsprechende Kenntnisse in der praktischen Mathematik. Er konnte Geschwindigkeit, Widerstandsfähigkeit und die Kraft der Maschinen berechnen, er wusste Risse und Schnittzeichnungen zu fertigen und verstand Häuser, Rohrleitungen oder Wasserrinnen zu bauen, von jeder Art und unter all den Bedingungen, die die Praxis erforderte. Er vermochte Brücken zu errichten, verstand Kanäle zu bauen und konnte vielerlei Arbeiten ausführen, die jetzt von Bauingenieuren geleistet werden ... gab es wohl nie eine nützlichere und selbstständigere Menschenklasse als diese ländlichen Mühlenbauer. Das ganze mechanische Wissen des Landes fand in ihnen seinen Höhepunkt.“ Ende Zitat.
Die Geschichte des Wolfenbütteler Mühlenbaugewerbes erschien mir nach der Durchsicht von Schriftstücken, Original-Dokumenten und der Forschung vor Ort an einzelnen Mühlen zuweilen wie ein Abenteuer. Das kommt nicht von ungefähr, fällt die Entstehungszeit dieses Gewerbes doch in eine Zeit des Umbruchs. Industrielle Revolution, aufkommende Gewerbefreiheit und politische Umwälzungen führten zur rigorosen Veränderung der Mühlenrechte, der Ernährungsgewohnheiten, der daraus resultierenden Mahlverfahren, der Baumaterialien und letztendlich zur Entwicklung völlig neuer Müllereimaschinen. Verschiedene glückliche Umstände, wie die schon 1838 erfolgte Einrichtung der ersten deutschen Staatseisenbahn ließen Wolfenbüttel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Städte des Mühlenbaus werden.
Aus dem Wolfenbütteler Mühlenbaugewerbe entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die berühmte Braunschweiger Mühlenbauindustrie, deren Höchstzeit mit der Gründung der MIAG (Mühlenbau- und Industrie AG) 1921 und 25 beginnen sollte. Braunschweig hat zudem seit 1949 als Standort der „Deutschen Müllerschule“ für die weltweite Aus- und Weiterbildung in diesem Gewerbe einen internationalen Ruf. Ich selbst habe von 2001 bis 2003 an dieser bedeutenden Einrichtung studieren dürfen und bin stolz darauf, die über 150-Jährige Tradition des hiesigen Mühlenbauwesens weiter tragen zu dürfen.
Wie kommt diese Dokumentation über das Wolfenbütteler Mühlenbaugewerbe überhaupt zustande?
Seit etlichen Jahren betreue ich die Windmühle in Steinhude bei Hannover. Diese Mühle war als letzte gewerblich arbeitende Windmühle der Region bis 1979 noch in Betrieb und unter meiner Regie noch einmal ab 1999, bis 2002 starke Bauschäden im Fundamentbereich ihren weiteren Betrieb vorübergehend untersagten. Inzwischen ist die Mühle restauriert worden und wird als betriebenes technisches Denkmal zu Schauzwecken bzw. als Lernstandort genutzt.
Die Mühle steht erst seit 1912 in Steinhude und war, so hieß es früher immer, aus dem „Braunschweigischen“ Ort Broitzem umgesetzt. Über die Baugeschichte der Mühle war bislang nicht viel bekannt. Die komplett erhaltene und sehr umfangreiche, für eine Windmühle außergewöhnlich edle, dabei aber sehr alte Technik ließ mich ein paar konkrete Vermutungen über bestimmte Mühlenbauer anstellen. Also hieß es forschen.
Einen Verbündeten fand ich in Joachim Dette aus Leer, einem ehemaligen Wolfenbütteler, der über Jahrzehnte im Müllergewerbe tätig gewesen ist. Seine Forschung im Wolfenbütteler Staatsarchiv war erfolgreich und bestätigte mir prompt meine Vermutungen über Bauzeit und Mühlenbaumeister. 1863 sei die Mühle demnach durch den Mühlenbauer Theodor Burgdorff in Broitzem vor Braunschweig erbaut worden. Wie sich später herausstellte, war Burgdorff, als er diese Mühle konstruierte, gerade in Wolfenbüttel bei der Firma Luther & Peters als Geselle tätig. Schneller als gedacht war ich am Beginn einer Forschung über diese Firma und fand nach und nach heraus, welche herausragende Bedeutung sie für die Allgemeinentwicklung des Mühlenbauwesens gehabt hat. Im Januar 1999 begann ich mit der Restaurierung eines Teils der Müllereimaschinen in der Windmühle Steinhude. Darunter war auch ein im erbärmlichen Zustand befindlicher Walzenstuhl, der mir sehr alt erschien und ein gegossenes Schild der Wolfenbütteler Firma Kissel trug. Meine Forschung über den Mühlenbau dieser Stadt sollte kein Ende nehmen. Welche Mengen an Informationen sich zusammentragen ließen, vermochte ich selbst bald nicht mehr recht zu glauben.
Am Schluss war ich um die Erkenntnis reicher, dass Wolfenbüttel eine außergewöhnlich hohe Tradition im Mühlenbau- und Müllereigewerbe aufzuweisen hat und die Steinhuder Windmühle heute für uns einen kaum schätzbaren Wert hat, denn sie ist eine der wenigen Originalzeugen dieses einstmals so bedeutenden Gewerbes der Stadt.
Dieses Buch ist eine Zusammenfassung und Auswertung der wichtigsten Erkenntnisse über das Wolfenbütteler Mühlenbaugewerbe. Die technischen Entwicklungen, aber auch die sozialen Verhältnisse vergangener Tage werden behandelt.
Ein wichtiges Kapitel am Schluss stellt die Mühlen im Stadtgebiet Wolfenbüttels dar, die ob Wasser-, Wind- oder Dampfmühle, das Stadtbild immer in irgendeiner Form geprägt haben.
Das aus meinen gesammelten Daten und Dokumenten ein Buch wurde, konnte mir erst durch die „Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel“ ermöglicht werden, dafür einen herzlichen Dank. Hierbei ist besonders die Arbeit Dietmar Dolles zu erwähnen, der in akribischer Stunden füllender Arbeit verschiedene Mühlenakten im Staatsarchiv durchsah und seine eigene Sammlung an historischen Adressbüchern nach „Mühlen und Mühlenbauern“ untersuchte.
Die Spuren der Mühlen und des Mühlenbaus sind in Wolfenbüttel noch heute so gegenwärtig, wie kaum in einer anderen Stadt. Sei es durch das eindrucksvolle Gebäude der „Neuen Mühle“ mit den Resten des eigens zu den Mühlenbetrieben angelegten Kanalsystems „Klein Venedig“ oder das noch stehende Hauptgebäude der Firma Luther & Peters, sie sind noch Zeugen davon was Wolfenbüttel einst gewesen ist. Eine Hauptstadt des Mühlenbaugewerbes.

Mit dem Gruß der Müller „Glück zu“
Wolfenbüttel, im Oktober 2005 Rüdiger Hagen

Weitere Informationen zu diesem Heft:

ISBN: 3-00-017604-7
Titel: Spurensuche Heft 4 (2005)
Mühlenbau in und um Wolfenbüttel
Ein Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte des Mühlenbaus in unserer Region
Autor: Rüdiger Hagen u. a.
Herausgeber: Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel e. V.
Kleiner Zimmerhof 4, 38300 Wolfenbüttel
1. Auflage: 1000
Layout/Druck: MEDIA-AFFAIRS
Holzmarkt 2, 38300 Wolfenbüttel

Das Heft können Sie erwerben bei:
 - Ag Altstadt WF: info@altstadt-wf.de
 - Bücher Behr, Kornmarkt 4/5, 38300 Wolfenbüttel